Schiebetüren-Momente und der Weg in die Mausefalle
… nicht nur Paare können von John Gottmans Love-Lab lernen
Auf den ersten Blick eine Kleinigkeit. Die Frage, die untergeht. Das Lächeln, das nicht erwidert wird. Der Gruß, die einladende Geste, der Vorschlag, der ungehört verhallt. Bringt ein Partner ein Bedürfnis zum Ausdruck, hat der andere im Grunde zwei Möglichkeiten: Er nimmt dies zur Kenntnis, schiebt, bildlich gesprochen, die Türe weiter auf und kommt herein. Oder er zieht die Türe zu und wendet sich ab. Im ersten Fall wird Interesse und Verbundenheit ausgedrückt. Im zweiten Fall nicht. Wiederholen sich solche Situationen, wird der Aufforderungscharakter solcher Schiebetüren-Momente wiederholt missachtet, droht Gefahr. Warum?
Mini-Nichtbeachtungen, Abwendungen und den entstehenden Riss nicht zur Kenntnis zu nehmen ruft Verletzung und Wut hervor. Wird jetzt nicht repariert, entsteht das, was John Gottman* einen bedauerlichen Zwischenfall nennt. Jeder bedauerliche Zwischenfall nagt am gegenseitigen Vertrauen - und damit am Fundament der Beziehung. Der Ikone der empirischen Paarforschung in den USA folgend, befindet sich ein Paar dann auf dem Weg in die Mausefalle - der Zeigarnik-Effekt, Negative-Sentiment-Override und vier apokalyptische Reiter erledigen den Rest. Sofern nicht wirksam repariert wird.
Doch der Reihe nach. Was wir aus der Alltagserfahrung wissen, bestätigt uns der Zeigarnik-Effekt: Wir merken uns Unerledigtes viel besser als Erledigtes. Was für produktives Abarbeiten von Actionlists und To-dos hilft, kann im Beziehungsgeschehen fatale Folgen zeigen. Während Beziehungssituationen, in denen Aufeinanderzubewegen, Klärung und Verstehen erreicht werden, schnell aus der Oberfläche des aktiven Gedächtnisses verschwinden, bleibt der Schmerz des Ungeklärten, bleiben die bedauerlichen Zwischenfälle präsent und werden immer wieder neu aktiviert - zunehmend schmerzhaft wie das spitze Steinchen im Schuh. Im Laufe der Zeit wird die schmerzliche Erinnerung so zum Reizthema, der Negative Sentiment Override beginnt zu greifen. Dann werden immer mehr neutrale und positive Erfahrungen als negativ bewertet, also freundliche Gesten und harmlose Kommentare ins Gegenteil verkehrt - Sie kennen das?
Wenn Gottman von vier apokalyptischen Reitern spricht, meint er Formen negativen Gesprächsverhaltens, die auftauchen, falls es nicht gelingt, auf konstruktive Weise Kritik zu äußern. Alle vier erschweren bzw. verhindern notwendige Reparaturmaßnahmen in der Beziehung. Sie lauten: negative Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern. An dieser Stelle nur ein Wort zum Mauern. Mauern beschreibt den faktischen Kontaktausstieg, in dem keine Reaktion, kein Aha, kein Blickkontakt, kein Nicken mehr möglich ist (Sie lesen richtig - möglich ist, denn Gottman versteht Mauern als Erholungsversuch nach einer überflutend erlebten Stressreaktion).
Bevor wir in einer Fortsetzung zu möglichen Reparaturmaßnahmen kommen, die den Weg in die Beziehungs-Mausefalle verhindern und langfristig erfreuliches Paargeschehen tragen können, bleibt noch die Frage, wie diese Erkenntnisse auch in Führungszusammenhängen produktiv wirken können? Meines Erachtens braucht es, neben einer regelmäßigen Typ-Y-Überzeugung, nicht sehr viel. Denn sobald wir davon ausgehen, dass das menschliche Motivationssystem im Grunde und vor allem auf soziale Anerkennung ausgelegt ist, wäre es fatal, so zu tun, als wäre Beziehungsgeschehen in Arbeitszusammenhängen nur etwas mehr als ein nice-to-have. Auch in hocheffizient organisierten soziokratischen oder holakratischen Strukturen.
Lassen Sie uns das vertiefen.
* Nachzulesen bei John Gottman, „Die Vermessung der Liebe - Vertrauen und Betrug in Partnerbeziehungen“